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Nachdenklich in Hong Kong

Vor 5 Jahren waren wir für 4 Wochen hier. Corona, Demonstrationen und das National Security Gesetz waren weit und breit nicht zu erahnen. Wir freuen uns, dass wir diese Zeit hatten und mit Freunden gemeinsam Weihnachten und Silvester feierten.


Seitdem ist Corona im Griff, Demos wurden zur Ruhe gezwungen, viele junge Menschen sind aus der Stadt ausgewandert und das National Security Gesetz wurde weiter verschärft. Aus diesen Gründen planten wir unserer Reise eigentlich ohne einen Besuch in Hong Kong. Nur wegen dem seltenen Ereignis, zum ersten Mal mit meinem kleinen Bruder und seiner Familie und sehr wahrscheinlich ein letztes Mal mit meiner Mutter hier zu sein, schoben wir 9 Tage Hong Kong dazwischen.


Wir wohnen dieses Mal in Kowloon, das ursprünglichere Hong Kong, mitten drin in Mongkok. Hier gibt es noch die vielen einfachen kleinen Läden, Cha Chaan Tengs (Restaurants aus der Kolonialzeit mit West-Ost Essenskultur), Streetfood, eben alles etwas einfacher und älter. Hier sind auch die Blumen-, Vögel-, Goldfischmärkte angesiedelt. Es werden Haustiere in Schaufenstern dargeboten. Weit und breit kein Gucci und co. Es ist so ein starker Kontrast zu unserem letzten Aufenthalt in Midlevels auf Hong Kong Island.

Impressionen von Mongkok


Ist Hong Kong anders geworden?


Bei äußerlicher Betrachtung wird in der Stadt weiterhin viel entwickelt und gebaut. In unserer 5-jährigen Abwesenheit sind weitere Bezirke gentrifiziert, weitere Gebäude entwickelt und die physischen Verbindung zu China weiter ausgebaut worden. 9 chinesische Städte im Süden schließen Hong Kong und Macao ein und bilden nun "The Greater Bay Area".


Architektur und Design haben weiterhin einen hohen Stellenwert. So ist mit dem neuen Kunstmuseum M+, innen dem Tate Modern in London sehr ähnlich, und der Verlängerung der Victoria Promenade mit dem luxuriösen neuen K11 Musea Mall zwei prominente Beispiele entstanden. Dabei wird auch viel Wert auf einen grünen Außenbereich und Garten gelegt.


Wir sehen kaum westliche Gesichter, nur Chinesen und anderen Asiaten. Auch in Central, der Stadtteil der Expats sehen wir nur wenige Westler. März war Art Month mit der so wichtigen Ausstellung, der Art Basel. Normalerweise wäre die Stadt voller Menschen unterschiedlicher Nationen gewesen. Dieses Gefühl wird von den Nachrichten bestätigt, dass vom Karfreitag bis Ostersonntag 1,5 Mio Ausreisen, wogegen nur 340T Einreisen registriert wurden, 35% weniger als im Vorjahr. Es fühlt sich ein wenig wie damals an, kurz nach der Übergabe von Hong Kong an China.


Was uns auffällt, ist dass die Servicequalität sehr schlecht geworden ist, das USP von Hong Kong. Sogar hier fehlt es offensichtlich an Personal, so dass vieles auf die Kunden in Selfservice abgewälzt wird. Das wäre früher ein No Go gewesen. Alles läuft jetzt sehr langsam, sogar wie die Menschen draußen gehen. Der schnelle Laufstrom in den U-Bahnstationen ist verschwunden. Über die Ostertage hatten viele kleine Geschäfte geschlossen, auch etwas, das wir nicht kannten. Ist es vielleicht die Sichtbarkeit von endlich mehr Work-Life Balance oder aufgrund des Mangels an Kunden? Auch die Höflichkeit und den britisch geprägten Umgang untereinander hat nachgelassen.


Ich bin über eine Nachricht gestoßen, die mich bestürzt hat und die weniger sichtbaren Veränderungen zeigt. Ein unabhängiger Buchladen, Mount Zero, wurde geschlossen und viele trauern darüber und nehmen am letzten Öffnungstag Abschied. Jetzt könntet ihr sagen, eine Buchhandlung, na und?


Die 5 Gründer von Mount Zero waren alle Journalisten und durften ihren Beruf nicht mehr ausüben. Da sie ein Lebensunterhalt brauchen, sind sie auf die Idee gekommen, eine Buchhandlung zu eröffnen. Sie wollen auf ihr Knowhow aufbauen und journalistischen Werte sowie den Sinn von Journalismus verbreiten. Sie wollen auch einen Ort schaffen, wo sich die Menschen, die Hong Kong nicht verlassen haben, sich treffen können. Ihnen ist es wichtig, dass Menschen lesen. Sie organisierten, manchmal gemeinsam mit anderen Geschäften der Nachbarschaft, Events, Talks, Mini-Konzerte oder Abendessen. Eine feste Community ist so über die letzten Jahren entstanden.


Letztes Jahr fing es damit an, dass die Regierung den Besitzer beschuldigt, den Platz vor dem Laden illegal zu nutzen. Dabei gehörte der Platz vor der Buchhandlung bereits zum Geschäft. Sie wurden aufgerufen, die Nutzung bis zu einem Stichtag aufzugeben, ansonsten würde eine Strafe von 500T$ und danach täglich 50T$ sowie bis zu 6 Monate Gefängnisstrafe drohen. Seitdem gab es wöchentlich Inspektionen durch verschiedene Abteilungen, teilweise aufgrund angeblich anonymer Beschwerden. In Dezember konnten die Besitzer den psychischen Druck nicht weiter standhalten und entschlossen, die Buchhandlung zum Ende März zu schließen.


Seit 2020, seitdem das National Security Gesetz eingeführt wurde, wurden 40 unabhängige Buchhandlungen geschlossen. Auch andere Besitzer erzählen vom psychischen Druck durch regelmäßige Inspektionen. Vor allem Jounalisten, ehemalige Politiker und Protest-Unterstützer stehen unrer besonderer Beobachtung. Alle politisch sensiblen Bücher wurden von öffentlichen Bibliotheken verbannt und konnten nur an wenigen unabhängigen Buchhandlungen beschafft werden, aber auch dies scheint bald Geschichte zu sein.


Ich liebe diesen Ort, das beste und vielfältigstes Essen der Welt und die vielen qualitativ hochwertigen, kulturellen Angebote. Ich liebe den urban Style, noch immer gibt es diese Ost-West-Mischung. Wenn man nicht politisch ist und nicht über Politik redet, dann kann man bestimmt immer noch gut in Hong Kong leben.


Aber, kann man wirklich immer still zusehen und ertragen, wenn der Bevölkerung mehr und mehr an Freiheiten beschnitten werden und mehr und mehr solche "Dinge" wie den Buchhandlungen passieren? Ich wundere mich, wie lange solche Vorfälle überhaupt noch berichtet werden dürfen.


P.S.: Der Eingang zum Abflug im Flughafen ist mit eGates gesichert. Wir mussten nicht nur wie üblich die Bordkarte, sondern auch unseren Pass einlesen und es wurde ein Foto von uns aufgenommen. Wir fragten uns, wieso das Immigration Handling schon beim Eingang erfolgt. Erst beim Einsteigen in den Flieger stellten wir fest, dass das Boarding per Face Recognition erfolgt, eine Ungeheuerlichkeit! Wer weiß, was jetzt mit unseren so persönlichen Daten geschieht.








 
 

4 Kommentare


Thomas Vajay
10. Apr. 2024

Gut dass wir damals noch zusammen Silvester feiern konnten. Da sieht man wieder, dass man nicht immer alles aufschieben sollte ;-)

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Suet Mui
10. Apr. 2024
Antwort an

Ja, es war schön mit euch 😘

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ruediger.flockert
05. Apr. 2024

Da wisst ihr ja, wo ihr eure Reisedaten von China während der nächsten Jahrzehnte abrufen könnt: der chinesische Inlandsgeheimdienst (wahrscheinlich heißt der Informationsministerium) gibt gerne Auskunft!

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Suet Mui
05. Apr. 2024
Antwort an

😆

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